Bevor die Lengericher Synagoge am 15. Juni 1821 eingeweiht wurde, hatte sich die jüdische Bevölkerung im 18. Jahrhundert zunächst im Haus des Benjamin Isaac zum Gottesdienst getroffen. „Seit etwa 1774 nutzte die damals acht Familien umfassende jüdische Gemeinschaft dafür einen gemieteten Betraum in dem Haus des Brauers Heinrich Windmüller,“[1] heute Münsterstraße 9.
1816 wurde in einem Haus in der Münsterstr. 23, das sich im Besitz der Familie Feibes befand, ein Schul- und Gemeindehaus eingerichtet; fortan wurde der Gottesdienst in einem Raum dieses Hauses gefeiert. Als 1820 die jüdische Gemeinde, zu der auch einige Juden aus Ladbergen und Tecklenburg zählten, auf über 100 Personen angewachsen war, entschloss man sich zum Bau einer Synagoge auf dem Gartengrundstück hinter dem Schul- und Gemeindehaus.
Der Bau wurde von insgesamt zehn jüdischen Kaufleuten finanziert. Leider sind weder Pläne noch Bilder dieser Synagoge erhalten; über das Aussehen des Gebäudes wissen wir nur durch schriftlich festgehaltene Erinnerungen des Lengericher Heimatforschers Heinrich Schlüter. Danach war es ein eingeschossiges, 135 qm großes Gebäude auf einem rechteckigem Grundriss, das durch ein relativ steiles Schopfwalmdach geschlossen wurde; nach Schlüters Worten war der Synagogenbau der Gotik nachempfunden. Im Inneren gab es den Hauptraum mit Bänken an der Längsseite, ein achteckiges Podest für das Vorlesen aus der Thora (der Almemor[2]) sowie an der Ostseite ein Eichenschrank für die Aufbewahrung der Thorarollen. Zudem führte vom Vorraum aus eine Treppe zum abgetrennten Betraum für Frauen.
Über die Einweihung der Synagoge berichtete der Lengericher Ortschronist ausführlich:[3]
„Am 15. Juni 1821 wurde der … Tempel feierlich eingeweiht. Die Gemeinde, worunter sehr viele Fremde waren, hatten sich in dem Michel Feibeschen Hause (der erste Kaufmann unter den hiesigen Israeliten) versammelt und ging im Zuge mit Blasinstrumenten nach dem alten Tempel, wo der Herr Landrabbiner Sutro, welcher in Münster wohnt, in einer aufgesetzten Rede von diesem Hause Abschied nahm, und nachdem hierauf einige Gebete unter Begleitung der Musik abgesungen, wurden die Thoras von der alten in die neue Kirche in der nämlichen Art im Zuge weggeführt. Bei der Ankunft in dem neuen Tempel wurde der Gottesdienst durch Gesang eröffnet. Der p. Sutro hielt abermals sowie der hiesige Schullehrer Posener eine passende Rede. Hierauf wurde wieder gesungen, der Gottesdienst beendigt, und man verließ den Tempel und verfügte sich in Prozession wieder zu dem Hause, wovon man ausgegangen war. – Den Beschluß der Feierlichkeit machte ein Ball, den die Israeliten in dem ersten hiesigen Wirtshause, genannt ‚Im Goldenen Löwen‘ hatten.“
Im Jahre 1921 umfasste die jüdische Gemeinde in Lengerich noch 53 Personen – 42 in der Stadtgemeinde und 11 in der Landgemeinde. In jenem Jahr, am 26. Juni wurde das 100-jährige Bestehen der Synagoge gefeiert; die Festrede hielt der Münsteraner Rabbiner Dr. Steinthal, und abends endete der Tag mit einem Ball. Leider ist nicht überliefert, wie viele christliche Lengericher*innen an diesen Feierlichkeiten teilnahmen.
117 Jahre nach ihrer Einweihung kam das brutale Ende für die Synagoge. Im Verlauf der Reichspogromnacht zerstörten Nationalsozialisten am 10. November 1938 die Inneneinrichtung und raubten Ritualgegenstände. Ein schockierter Zeitzeuge verglich anschließend die Synagoge mit einem Müllhaufen; lediglich die Außenmauern, die Empore und das Dach blieben erhalten. Auf eine Vernichtung des Gebäudes durch Feuer wurde verzichtet, da dadurch wahrscheinlich weitere Häuser in der Münsterstraße zerstört worden wären. Das Ende des jüdischen Gemeindelebens war damit besiegelt – die meisten jüdischen Bewohner*innen flüchteten in größere Städte oder ins Ausland.
Zunächst geschah nichts mit dem Synagogengrundstück; ein Grund waren offenbar Kommunikationsprobleme zwischen dem Bürgermeister, dem Landrat und dem Regierungspräsidenten. Doch schließlich wurde ein Makler tätig und er verkaufte Ende 1939 das Grundstück an einen Friseurmeister; leider ist nicht mehr zu ermitteln, ob und wie viel Geld die wenigen verbliebenen Mitglieder der jüdischen Gemeinde für den Verkauf erhalten haben.
Der Käufer vermietete Teile des Gebäudes und so gab es ab Beginn der 1950er Jahre die erste Lotto-Annahmestelle Lengerichs dort. 1957 nutzte die Firma Beccard das Gebäude zeitweise als Büro- und Lagerräume; schließlich wurden die ehemals jüdischen Gebäude abgerissen.
Im Jahre 2007 haben Schüler*innen und Lehrer*innen der Dietrich-Bonhoeffer-Realschule die Verlegung eines Stolpersteins nahe des ursprünglichen Ortes der Synagoge in der Münsterstraße initiiert.
Text: Bernd Hammerschmidt
[1] Althoff, Gertrud: Lengerich, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe, hrsg. Historische Kommission für Westfalen, Regierungsbezirk Münster, Münster 2008, S. 463.
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Bima#Beschreibung (Zugriff: 14.2.2022).
[3] Chronik der Bürgermeisterey Lengerich, Stadtarchiv Lengerich, Akte B1478, zitiert nach: Feld, Willi, Starosta, Thomas: Bau und Zerstörung der Synagogen im Kreis Steinfurt, in: Unser Kreis, Jahrbuch des Kreises Steinfurt 1989, S. 243.